[…] unser soziales Umfeld ist der Knackpunkt unserer Entwicklung.
– The Making and Breaking of Minds: „How social interactions shape the human mind“ von Isabella Sarto-Jackson (Vernon Press), befasst sich mit der prägenden Rolle, die das soziale Umfeld für eine gesunde Gehirnentwicklung beim Menschen spielt, insbesondere während der frühkindlichen Entwicklung sowie in Kindheit und Pubertät.
Der kognitiven Entwicklung liegen neuroplastische Prozesse zugrunde. Diese Veränderungsprozesse führen zu der bemerkenswerten Fähigkeit des Gehirns, sich selbst zu reorganisieren und sich flexibel an schwankende Umweltbedingungen anzupassen.
Zum Buch “The Making and Breaking of Minds”
Das menschliche Gehirn hat eine bemerkenswerte Fähigkeit.
Es reorganisiert sich laufend selbst und passt sich durch neuroplastische Prozesse flexibel an veränderliche Umweltbedingungen an – ein Prozess, der als Neuroplastizität bezeichnet wird. Neuroplastizität ist die Grundlage für vielfältige Lern- und Gedächtnisprozesse, die besonders im Kindes- und Jugendalter ausgeprägt sind.
Doch Neuroplastizität ist ein zweischneidiges Schwert: die außergewöhnliche Formbarkeit des sich entwickelnden Gehirns macht es gleichzeitig sehr anfällig für negative Einflüsse aus der Umgebung. Es ist das soziale Umfeld, das den Knackpunkt darstellt, wie die positive die kognitive Entwickelung verläuft und ob wir an unserem Umfeld wachsen oder zerbrechen.
Missbrauch oder Vernachlässigung durch das soziale Umfeld können zu Veränderungen der neuronalen Verschaltungen führen und in weiterer Folge die kognitive Entwicklung, emotionale Verarbeitung, Selbstwahrnehmung und exekutive Gehirnfunktionen beeinträchtigen. In ähnlicher Weise wirken chronischer Stress und traumatische Erfahrungen, die drastische Auswirkungen auf die Plastizität des Gehirns haben und die emotionale Regulation beeinflussen, was zu erhöhter Angst und zu Störungen sozialer Bindungen führen kann.
Solche neuroplastischen Ereignisse, die als Reaktion auf toxischen Stress auftreten, werden aber nicht nur durch Missbrauch und Vernachlässigung verursacht, sondern auch durch Leben in extremer Armut. Neuroplastische Veränderungen als Reaktion auf langanhaltende, negative Erfahrungen sind aber leider keine “Entwicklungsmacke”, die sich wieder “auswächst” und über die man mit der Zeit hinwegkommt.
Im Gegenteil, diese Erfahrungen verändern die neurobiologische und biochemische Zusammensetzung einer Person und folglich ihr Verhalten, ihre Wahrnehmung und ihren mentalen Zustand. Traumatisierte Menschen finden sich in einer emotional umetikettierten Welt, in der auch neutrale soziale Signale überproportional negativ bewertet werden.
Noch besorgniserregender ist, dass solche nachteiligen Folgen nicht auf die traumatisierten Personen beschränkt sind, sondern oft auf nachfolgende Generationen übertragen werden. Traumatisierte Menschen suchen sich im Erwachsenenalter Nischen, die ihren inneren seelischen Strukturen entsprechen, wie sie in früher Kindheit geprägt wurden. Oder finden sie keine solchen Nischen vor, verändern diese traumatisierten Personen ihr soziales Umfeld in der Art, dass sie die Nische an ihre inneren Strukturen anpassen.
Dieser Prozess der aktiven Schaffung einer Umgebung, an die man gut angepasst ist, ist ein wichtiger evolutionärer Prozess, der als Nischenkonstruktion bezeichnet wird – eine Form der nicht genetischen Vererbung. Der Mensch ist biologisch gesehen das paradigmatischste Beispiel eines Nischenkonstrukteurs, der kulturelle, ökologische und soziale Nischen schafft.
Da Nachkommen in der Regel die Nischen ihrer Vorfahren erben und diese wiederum an ihre Kinder weitergeben, werden missbräuchliche und traumatisierende Umgebungen über Generationen weitergegeben.
Um die gesellschaftliche Herausforderung von Kindesmissbrauchs und Kindesmisshandlung bewältigen zu können, braucht es interdisziplinäre Initiativen, die Neurowissenschaftler, Evolutionsbiologen und Sozialpädagogen zusammenbringen, um diesen Teufelskreis zu durchbrechen.
Endorsement by Dr Ladislav Kováč
Upon thorough reading of the book of Isabella Sarto-Jackson “The Making and Breaking of Minds” I conclude that this is an up-to-day book, in view of the rapidly changing world and human knowledge of it. To revaluate the idea about the selfish rational human individual who thrives by steadily calculating how to maximize one’s own profit, to abandon the simplex and naive framework of the selfish gene and of genes as exclusive units of Darwinian selection is not an abstract academic task but the urgent need to abolish the pernicious ideology that affects the present human condition. The author of the book argues that there is a mutual, reciprocal causality between genes as “bookkeepers” of the evolutionary acquired potentials and the actual and continually changing environment and backs her arguments by a plethora of novel empirical data. I find particularly valuable those chapters of the book that highlight the importance of critical phases in human ontogeny, in particular, the early childhood and the adolescence when neglecting of parents (and social neglect in general), stress and traumatic experiences may leave permanent traces in the genome (by silencing some of the genes, or epigenetically marking them). And I appreciate that the last chapter (“Resilience & Nurture Put into Practice”) provides some advice and recommendations on how to alleviate the injury and/or build up a harmonious personality.
– Dr Ladislav Kováč
Professor of Biochemistry, Comenius University, Bratislava, Slovakia
Zitate aus dem Buch “The Making and Beaking of Minds”
ÜBER KINDERMISSBRAUCH
Die Tatsache, dass Kinder über einen langen historischen Zeitraum hinweg als Eigentum ohne Rechte angesehen wurden, begünstigte bis heute das elterliche Verhalten der Vernachlässigung, Misshandlung und sogar Kindestötung von Kindern. (S. 70)
Körperlicher, sexueller und emotionaler Missbrauch sowie andere belastende Lebensereignisse […] in der Kindheit verursachen eine übermäßige und anhaltende Aktivierung von Stressreaktionssystemen in Körper und Gehirn. (S. 216)
ÜBER LERNEN UND GEDÄCHTNIS
[…] Vergessen ist ein unverzichtbares Merkmal des menschlichen Gedächtnisses in jedem Alter. Es mag paradox klingen, aber das Vergessen verbessert die mnemotechnische Kompetenz. Menschen, die irrelevante Ereignisse vergessen können, können sich besser an relevante Ereignisse erinnern. (S. 128)
[…] wir alle haben viele intakte, implizite Erinnerungen, auf die wir keinen bewussten Zugriff haben. Diese Erinnerungen sind unbewusst gespeichert, im Prinzip noch vorhanden, können aber nur durch das Hervorrufen anderer miteinander verbundener, implizit gespeicherter Erinnerungen abgerufen werden. (S. 134)
ÜBER STRESS
Ein wichtiger Prädiktor für stressbedingte, physiologische Veränderungen ist der soziale Status, den eine Person erreicht, einschließlich bedrohlicher Erfahrungen sowie positive Erfahrungen von sozialer Unterstützung. […] diese Erkenntnisse verdeutlichen die Rolle von Armut und mangelnden Möglichkeiten des sozialen Aufstiegs. (S. 159)
Stressreaktionen, die durch mehrere Quellen verursacht werden, haben einen kumulativen Effekt auf körperliche und geistige Gesundheit einer Person. Als Faustregel gilt: Je häufiger ein Kind negative Erfahrungen macht, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit von Entwicklungs- und kognitiven Verzögerungen und Gesundheitsproblemen wie Herzkrankheiten, Diabetes, Drogenmissbrauch und Depressionen. (S. 218)
ÜBER PSYCHOLOGISCHES TRAUMA
Traumatisierte Menschen und Menschen, die chronischen Stresssituationen ausgesetzt sind, finden sich in einer emotional umetikettierten Welt wieder, in der auch neutrale soziale Signale überproportional negativ bewertet werden. (S. 162)
ÜBER DIE ENTWICKLUNG VON KINDERN
Die allgemeine menschliche Neigung zum Altruismus und zu prosozialem Verhalten scheint eine starke angeborene Komponente zu haben, die sich im Laufe des Lebens verändert. (S. 189)
Endorsement by Dr Daniel O. Larson
“The Making and Breaking of Minds” is a multidisciplinary tour de force and, if you are not already engaged in this kind of research, you will be strongly inspired to take up the challenge. This book is an extraordinary exploration in the fabulous universe of the human brain, behavior, and integrative feedback loops. This approach will have universal academic appeal because it attempts to understand and explain the cross-talk between biological and cultural factors that become manifested in the individual brain development, neural wiring, neurochemical homeostasis, and behavior. According to the author, Dr. Isabella Sarto-Jackson, the idea that personality and behavioral propensities are innate or hard-wired by brain modules at birth is clearly disputed by recent neuroscientific research and studies in cultural psychology/psychiatry.
With powerful conceptual tools, case studies, and an in-depth review of recent literature in the neurosciences, the author offers convincing arguments related to a range of pressing issues. Indeed, she takes us to new frontiers in behavioral neurosciences of emotion, memory, learning, and the effects of individual context; arguments are built on the foundations of a rapidly emerging understanding of neuroplasticity and neurobiological processes that shape who we are.
Written with clarity, compelling evidence, and mastery of interdisciplinary science and supporting references, her programmatic goal is to address, head-on, the issues of cause and effect in psychology and psychiatry as opposed to the never-ending prospects of symptoms mitigation. She describes some of the most horrific atrocities in science and public policy that occurred over the last two centuries. Still, she counters such negativity with positive stories about those who championed the need for “motherly love” and advocates for those neurobiologically damaged just because they were born into poverty – compelling to any socially-minded individual or public policymaker to do better.
The author is critical of reductionist perspectives, including the gene-centric view, localizationism, brain modularity arguments, nature versus nurture dogma, and behaviorism. Dr. Sarto-Jackson’s arguments are not simple polemical statements; rather, her observations are supported by in-depth analyses of issues and concepts in the literature of contemporary neurobiology and behavioral studies.
She boldly challenges much of the traditional wisdom in the neurosciences causing one to rethink many predilections. There is no room for “just-so stories” in this comprehensive volume. Significantly, she provides precise definitions of neurobiological brain processes related to stress, anxiety, and prosocial behavior, revealing to the reader empirically based explanations of why people behave the way they do.
The foundation of her argument is set on the theoretical bedrock of neuroplasticity, as advanced by Edelman and LeDoux, among others. Neuroplasticity is the nervous system’s capacity to reorganize itself throughout life, presenting both contextual (cultural) and historically dependent (previous experience) mechanisms to form the dynamic human neural system. She clearly demonstrates that behavioral substrates are generated at several explanatory levels—from the molecular, neurobiological, information processing, neural networks, to mental states and cognition—all under the influence of the social environment. It is, therefore, obvious that no scientifically based explanation of human behavior, which is devoid of these concerns, will be complete and verifiable.
Dr. Sarto-Jackson is rightfully critical of narrow reductionism genetic determinism, modularity and brain structures, cognitivism, and localizationism. With clarity and purpose, she examines cause and effect relationships related to epigenetic, developmental processes, as well as issues of social context and individual histories. Others have advocated a similar theoretical perspective before but not in association with the convincing empirical support of multiple case studies and the extraordinary explosion of neurobiological research generated in the past five years. Her philosophical astuteness and ability to build theory and her knowledge of associated testable hypotheses incorporating actual behavioral experiments (ultimatum game) and real-time neurobiological examinations (deep brain stimulation studies) are admirable.
In several places, the author takes on current medical practices and offers alternatives that are logical and strongly supported by recent research. Interventions need not be just chemically-based; rather, she advocates socio-cultural mitigation measures based upon an effective change in situational context and social niche experiences. Psychologists, psychiatrists, social workers, clinicians, and educators need to be proactive in preventative care for those that are most vulnerable, i.e., children, immigrants, the homeless, people trapped in poverty, and those who, through no fault of their own, are neurobiologically affected by their personal histories. There is hope if we recognize the issues that she has brilliantly articulated for scholarly research and actionable programs governed by care and empathy and guided by neurobiological and socio-cultural research. What is needed now is the will, politically and economically, to make life better for all of us.
From my particular perspective, the author’s conversation goes beyond the acrimonious debate that characterizes those in anthropology who disdain the scientific approach to the study of human behavior and sets a new agenda for cross-cultural studies that merge neurobiology and anthropological research in unique and compelling ways.
All those who are interested in understanding the universality of human behavior and neurobiology should read “The Making and Breaking of Minds”. Here, scholars in multiple fields are provided with navigation tools to understand better how the brain is sculpted by human experiential context and neuroplasticity. Indeed, if you want to describe neurobiologically the horrific impact of incarceration or the “custody” of immigrant children and adults, then you need to read this, especially scholars in anthropology, sociology, history, government policy, and advocacy groups. You will surely be saddened by stories of abuse, enslavement, poverty, and the history of the medical profession’s complicity in atrocities, but these case studies serve an important purpose.
This volume is especially important to a new generation of scholars willing to do the hard work of interdisciplinary research. The reward for such conviction will be to effect change to restorative neurology resulting in a new kind of hope for patients neurobiologically damaged by the modern world.
In summary, it is seldom that an author can master contributions from so many scientific fields and then integrate collective content into a cogent explanation of human behavior that is unique and inexplicable from a single discipline’s perspective. This is truly a book that will cause the reader to rethink their worldview in multiple dimensions, including social, medical, political, and scientific perspectives. The unproductive dogma that has guided the nature versus nurture debate for too many years is laid bare by the author’s clear argument that human behavior is the product of integrative systems incorporating genetics, epigenetics, neurobiology, environment, cultural, social and individual context. Neurosciences have exploded with new discoveries resulting in an all too often explanation of human behavior as a linear extension of brain processes. Social sciences, on the other hand, explain human behavior and social institutions from the perspective that views the human brain as a black box or, worse, a set of predetermined genetic modules guiding innate behaviors.
What a wonderful book, scientifically informed, compassionate, and a major contribution to mental wellness and effective interventions. I highly recommend that all scholars interested in human behavior, in all its many dimensions, read this and take note of a coming revolution in the science of us.